Ava Reed – Alles. Nichts. Und ganz viel dazwischen.
Alles. Nichts. Und ganz viel dazwischen ist alles ganz viel: es ist traurig, hoffnungsvoll, beängstigend, ermutigend, nachdenklich und besonders. Als ich es an einem heißen Sommernachmittag gelesen habe, habe ich alles um mich herum vergessen. So gefesselt hat mich die Geschichte um Leni und Matti, die sich trotz ihrer Krankheiten nicht verkriechen sondern gegen sie kämpfen wollen und versuchen, mit ihnen zu leben.
Ava Reeds Schreibstil ist so, wie man ihn kennt. Jugendlich-einfach, ungekünstelt und flüssig, man merkt kaum, wie man über die Seiten fliegt. Ich finde es sehr mutig, dass sie ihre eigenen Erfahrungen, ihre eigenen Ängste in dieses Buch gepackt hat und dadurch wird es laut dem Nachwort auch zu ihrem persönlichsten.
Leni ist ein toller Charakter, den ich von Anfang an mochte. Sympathisch, lebensfroh, kurz vor ihrem Abitur. Es gelingt der Autorin sehr gut, mir als Leser den schleichenden Prozess der Depression und Angstzustände begreiflich zu machen, vermittelt ehrlich die Gefühle und Gedanken und macht somit alles sehr greifbar: die Angst, die Niedergeschlagenheit, die Müdigkeit, das Nicht-Aufstehen-Können. Interessant fand ich dann später auch Lenis Beschreibungen durch Matti, ist er ja quasi stellvertretend für alle Außenstehenden, die nicht in Lenis Innerstes schauen können. Seine Schilderungen zeigen, wie hilflos er sich oft gefühlt hat und wieviel eine schlichte Umarmung manchmal bringen kann – wenn sie denn zugelassen kann und wird.
Neben der emotionalen und wunderschönen Geschichte macht vor allem die Gestaltung des Buches das Einzigartige und Besondere aus:
Die Tagebucheinträge Lenis, die die Autorin selbst geschrieben und gezeichnet hat, machen die ganze Geschichte so realistisch und fühlbar, wie sie nur sein kann. Denn auch wenn es eine Geschichte ist, sind es die Krankheiten, die hoffnungslosen Situationen und die Kämpfe, die die Betroffenen mit sich selbst ausfechten müssen, nicht. Gerade in der heutigen Gesellschaft, in der ein derart hoher Erwartungsdruck herrscht, in der jeder nur noch funktionieren soll, in der so viele Menschen so hohe Ansprüche an sich selbst haben, sind Depressionen und Angstzustände fast schon allgegenwärtig. Umso wichtiger finde ich es, darüber zu reden, darüber zu schreiben, darüber zu lesen. Denn wie soll man als Nichtbetroffen(r) verstehen, mit was die Leidtragenden tagtäglich zu kämpfen haben?
Dass die Autorin Betroffene interviewt hat und diese zum Schluss des Buches zu Wort kommen, finde ich auch super schön und verdeutlicht einmal mehr, dass es so viele Menschen gibt, die von dieser Krankheit betroffen sind, die sich Respekt, Toleranz und Akzeptanz wünschen (so wie Jennie auf Seite 315). Und um einen Schritt in Richtung dieses Respekts, dieser Toleranz und Akzeptanz zu gehen, kann ich nur sagen: Lest dieses Buch! Denn es ist so wertvoll und wunderbar wie du und ich es sind. 5 Sterne.
„Weißt du, was ein Semikolon anzeigt oder bedeutet? Es bedeutet, dass an dieser Stelle der Satz zu Ende sein könnte, wenn der Autor das gewollt hätte, aber er endet nicht. Du bist dieser Autor! Der deines Lebens und du entscheidest, wie es weitergeht. Manchmal denkt man, die Depression und die Angst würden einem alles nehmen, was man hat und liebt. Aber die Wahrheit ist, dass nicht die Krankheit das entscheidet, sondern du.“ (Seite 168)