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J’accuse! oder: Warum man Fantasyautorinnen lesen sollte

Ich habe mich für meine Überschrift ganz frech bei Émile Zola bedient, der mit seinem offenen Brief einen Missstand angeklagt hat (französisch j’accuse = ich klage an), der von Antisemitismus und Voreingenommenheit geprägt war. Man mag den Vergleich übertrieben finden, aber ich möchte ein, auf unsere Leidenschaft heruntergebrochen, ebenso ernst zu nehmendes Thema ansprechen: Frauen als Autorinnen von Fantasyliteratur, einem Genre, das als von Männern gepachtet gilt, fast so, als ob nur männliche Autoren in der Lage wären, anspruchsvolle und erwachsene Fantasy zu schreiben.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sich für eine Autorin wie Victoria Schwab anfühlen muss, ins Gesicht gesagt zu bekommen, dass man froh sei, nicht vorher gewusst zu haben, dass sich hinter „V.E.“ eine Frau verbirgt, denn sonst hätte man ihr Buch weder gekauft noch gelesen.*
Als ich das gelesen habe, dachte ich mir nur noch: Bitte? Was sagt das Geschlecht darüber aus, wie gut eine Person schreiben kann? Nachdem mich die Autorin Christina Hiemer darauf aufmerksam gemacht hat, wie schwer es Frauen in der vermeintlichen Männerdomäne „Fantasy“ haben, habe ich mich informiert. Und bin entsetzt! Nicht nur darüber, wie Frauen von Verlagen, sondern auch von Berufskollegen benachteiligt werden. So hat Victoria Schwab vor nicht allzu langer Zeit Aussagen männlicher Kollegen veröffentlich, die mich nur noch den Kopf schütteln lassen und eine Debatte über Sexismus unbedingt nahelegen.*

Mir persönlich ist es – wie so vielen anderen – egal, welches Geschlecht die Person hat, deren Name auf dem Cover steht. Doch damit bin ich wohl nicht der klassische Fantasyleser und entspreche nicht der Zielgruppe für komplexe, blutige und natürlich vollkommen romantikfreie Fantasyliteratur. Sprich, ich bin kein Mann, der Bücher von Männern liest. Dieses Problem nur auf das Genre Fantasy zu reduzieren, wäre allerdings ziemlich ungerecht. Denn die ganze Buchbranche spiegelt wider, dass die Männer dominieren und die Frauen hinterher laufen*. Das zeigt sich erneut in den Programmen der Publikumsverlage, die auch im Herbst 2020 wieder mehrheitlich (mit einigen Ausnahmen, z.B. Penhaligon*) Bücher von Autoren verlegen (Piper hat in seinem Fantasy und Science Fiction-Programm sogar geschafft, keine einzige Frau zu verlegen*). Das zeigt sich daran, dass große Autorinnen lieber unter „V.E. Schwab“ und „N.K. Jemisin“ veröffentlichen als unter ihrem eindeutig als weiblich erkennbaren Vornamen. Und es zeigt sich an der Notwendigkeit des Hashtags  #womanintranslation, der jedes Jahr im August daran erinnern soll, dass immer noch mehr Bücher von Männern ins Englische übersetzt werden als von Frauen*. Auch der Selbstversuch von Catherine Nichols untermauert, wie Frauen diskriminiert werden: Sie hat dasselbe Exposé unter zwei Namen verschickt. Die positiven Rückmeldungen für George lagen bei 17, die für Catherine bei 2*. Ich könnte hier noch Dutzende Beispiele bringen, denn ich habe eine Fülle an Aussagen und Statistiken gefunden, die die Problematik anprangern. Sie hier aufzuführen würde aber den Rahmen sprengen. Aber weiterhin zu leugnen, dass struktureller Seximus in der Buchbranche vorhanden ist, ist einfach unmöglich.

Frauen als Fantasyautorinnen werden belächelt, erhalten weniger Vorschüsse und werden grundsätzlich in die Sparte ‚Romantik und Liebe‘ geschoben. Denn dafür sind sie zu gebrauchen. Sogenannte „Frauenliteratur“ wie Romantasy ist ok, doch anspruchsvolle hohe Phantastik sollen sie bitte den Männern überlassen. À propos Vorschüsse: Der Twitter-Hashtag #publishingpaidme wurde ursprünglich von LL McKinney ins Leben gerufen, um zu verdeutlichen, wie eklatant der Unterschied in der Vorschusshöhe zwischen Schwarzen und Weißen bzw. Frauen und Männern im Allgemeinen und schwarzen Frauen im Besonderen ist. Nicht zu hundert Prozent unser Thema, verdeutlicht es aber gut, wie (schwarze) Frauen schon allein durch die Höhe der gezahlten Vorschüsse von Verlagen diskriminiert werden*.

Warum müssen Bücher eigentlich überhaupt einer Zielgruppe zugeordnet werden, die sich am Geschlecht orientiert? Es gibt Männer, die New Adult lesen. Und es gibt Frauen, die Horror und Splatter lesen (ich bediene mich an Klischees, jawoll). Warum meint ein Verlag den zweiten Teil der Panem-Trilogie „Catching Fire“ mit „Gefährliche Liebe“ übersezten zu müssen? Ist die Zielgruppe hier ausschließlich weiblich und fangen wir alle an zu sabbern, wenn wir das Wort „Liebe“ lesen? Sind wir zu doof, komplexe Geschichten zu verstehen? Und warum sind die Cover dieser „Frauenliteratur“ immer lieblich-blümelig, wahlweise mit einem Frauengesicht oder einem nackten, männlichen Oberkörper? Ich erinnere mich düster an meine Marketingvorlesung im BWL-Studium und mir schwirrt der Begriff „Gender-Marketing“ im Kopf herum. Es ist also durchaus legitim von den Verlagen, ihre Bücher auf diese Weise zu vermarkten. Doch gutheißen muss ich es nicht. Vor allem nicht, wenn großartige Bücher großartiger Autorinnen vielleicht nie den deutschen Buchmarkt erobern, da sie nicht dem entsprechen, was gerade gelesen wird.

Doch ich schweife ab. Gerade die Kunst des Schreibens ist eine, die man an vielem festmachen kann: Talent, Ideenreichtum, Fantasie. Und nicht am Geschlecht. Denn ich frage mich immer noch, warum Leser oder Verlage der Meinung sind, Frauen können keine anspruchsvolle Fantasy schreiben, können nicht auf Gefühle im Allgemeinen und Romantik im Speziellen verzichten, sondern müssten diese immer irgendwo einbauen. Als ob das etwas Schlechtes wäre und der harte Hund, der der männliche Leser ist, hat dann während des Lesens Angst, dass er auf einmal einen Teil seiner Männlichkeit verliert oder wie? Ihr seht, es ist für mich nicht nachvollziehbar und dadurch umso emotionaler. Wo wir wieder bei den Gefühlen wären, verdammter Mist..

Nun bleibt mir nur noch zu hoffen,  dass Frauen irgendwann so akzeptiert werden, wie sie es verdienen. Nämlich als gute Fantasyautorinnen. Und dass ein Nachruf nicht mehr damit eingeleitet werden muss, dass der „weibliche Tolkien“* gestorben ist. Also liebe Leser und liebe Verlage: Traut euch! Lest Fantasy von Frauen, verlegt ihre Bücher. Denn sonst verpasst ihr großartige und  anspruchsvolle Geschichten, die im Gedächtnis bleiben und das Genre Fantasy auf so vielerlei Art bereichern.

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